Liebe Münchner Gastro,

du hattest es noch nie leicht, außer vielleicht während der 80er Jahre, aber das habe ich nicht mitbekommen. Solange ich dich kenne, wirst du von den anderen großen Städten als der spießige Schnösel abgestempelt. Und wer soll es ihnen verdenken, deine größte Party-Meile heißt „Feierbanane“… Sie irren natürlich, aber du gibst schon manchmal ein unglückliches Bild ab.

Trotzdem habe ich dich noch nie so in Not erlebt wie aktuell. Deine Restaurants haben beschränkte Öffnungszeiten, deine Clubs haben ganz geschlossen. Deine Pächter, deine Barkeeper, deine Runner – sie alle stehen vor zum Teil Existenz-bedrohenden Löchern. Ich wiederum sitze in Quarantäne und kann nichts tun, außer Essen zu bestellen und zu hoffen, dass es schnell wieder besser wird. Und dir diesen Liebesbrief zu schreiben.

Ich bin unter deinen Discokugeln geflogen, habe in deine Klos gekotzt, vor deinen Türen geprügelt.

Acht Jahre lang warst du meine Zuflucht, mein Zuhause, hast mir im wahrsten und übertragenen Sinne ein Dach über dem Kopf gegeben. Du hast aus einem verzogenen, einsamen Einzelkind einen verzogenen Barkeeper mit vielen Freunden gemacht. Viele davon temporär, auch das ist deine Natur. Aber es war gut, solange es gut war. Du hast mir den Wert harter Arbeit gezeigt, hast mir erklärt, wie man (gast-)freundlich ist. Dank dir kann ich Flaschen mit allem Möglichen öffnen, Zigaretten in Rekordzeit drehen und rauchen und mir die Nächte mit Genuss um die Ohren schlagen – alles Dinge, die keiner und jeder braucht.

Du hast mir Freundschaft hinter, Liebe auf und Trauer vor Tresen gebracht. Du hast mich an verbotene Orte, hinter DJ-Pults und in voll-getagte Backstage-Räume geführt. Auf deiner Gästeliste stehe ich immer und bei dir darf ich auch mal genüsslich einen Spritzer bestellen. Ich bin unter deinen Discokugeln geflogen, habe in deine Klos gekotzt, vor deinen Türen geprügelt. Deine Stempel habe ich mit Freuden am nächsten Tag nicht weggeduscht. Du hast mich Respekt vor den Menschen und das nötige Selbstbewusstsein gleichzeitig gelehrt. Zwischen Extase und Verantwortung. Aufgabe und dem nächsten Morgen.

Du rettest mich am ersten Tag nach Silvester mit scharfer Pizza. Bei dir bekomme ich die besten Falafel, Kartoffeln oder Glücksrollen. Du hast dem Kind vom Kuhkaff über den Schweinsbratentellerrand geholfen. Und mich gleichzeitig Schafkopfen und Bier trinken lassen. Du hast jedes an Fertigkeit nicht zu übertreffende Nach-Schicht-Weißwurstfrühstück nicht nur möglich gemacht, sondern zu einem kulinarischen Spektakel.

Dir fehlt ein wenig Abfuck-, Sub- und Späti-, aber du bist trotzdem das Schönste, was ich kenne. Du bist meine Heimat und meine Familie.

Ich werde für dich kämpfen, auch wenn ich momentan noch nicht genau weiß wie. Aber ich vertraue darauf, du wirst – wie immer – einen Weg finden. Bis dahin bestelle ich, kaufe Gutscheine, reposte und teile ich – und schreibe Liebesbriefe!

Cheers
Schelli