Cucurucu, ein wolkenverhangener Freitagnachmittag, es sieht sehr nach großer Pause aus. Die
Stühle und Bänke sind hochgestellt, die Pflanzen trocken und auf dem DJ-Pult liegt einiges, nur
keine Plattenteller. Im kleinen Raum sitzen Peter Pazmandi (40) und Tobias Tzschaschel (34) mit
Abstand beieinander, das mittig platzierte Aufnahmegerät als Bindeglied. Wir sprechen über das
digitale Cucurucu und die analoge Zukunft – nicht nur als Biergarten. Die beiden Chefs haben
Thai-Takeout vor sich. Zwischen Radiosendung bei 80000 und Interview mit AufdieFaust war
keine Zeit mehr für Essen. Macht nichts, wir sind ja eh ein Foodblog.

Schelli: „Guten Appetit! Wie geht’s euch?“
Tobi: „Danke! Mir geht’s sehr gut heute. Ist ja gerade sehr von der Tagesform abhängig, aber ich
hatte heute einen guten Tag, hab gut geschlafen und Radio80000-Show mit dem Peter gemacht.“

Peter: (unterbricht ihn) „Ja, mir gehts auch blendend, weil ich heute schon mit dem Tobi getanzt
habe. Das kommt nicht alle Tage vor.“

Tobi: (lacht) „Gerade kommt echt das Gefühl auf, dass sich die Dinge der Normalität zumindest
annähern. Wir sind noch weit davon entfernt, aber wir haben immerhin heute im Studio das erste
Mal wieder richtig laut Musik gehört. Und auch paar Leute zufällig getroffen, es war sehr schön.“

Schelli: „Das ist tatsächlich sehr schön. Und wie geht’s dem Laden?“

Tobi: „Das hat natürlich viele Facetten. Wie es der Firma rein finanziell geht, aber auch: Wie geht’s
dem Spirit? Das fließt beides mit ein.“

Schelli: „Ganz genau. Seit ihr gestartet seid, war der Laden eigentlich eine einzige
Erfolgsgeschichte. Es gibt, glaube ich, in München nur wenige Bars, bei denen sich so viele
Menschen darauf einigen können, dass dies ihre Lieblingsbar ist. Und dann kommt so ein
Scheiß und reißt alles raus, wie sehr ärgert man sich dann? Eben auch finanziell, wie ist es
da? Konntet ihr bei Münchner Kosten in den letzten Jahren überhaupt Rücklagen bilden?“

Tobi: „Naja, es ist klar, wir haben schon einige Schulden auf uns genommen, um den Laden
aufzumachen. Dann waren wir auf einem ganz guten Weg, diese wieder los zu werden. Jetzt haut
sowas natürlich schon rein. Wir haben Soforthilfe bekommen vom Staat, das waren circa zwei
Monatsmieten. Jetzt sind wir ein bisschen über zwei Monate zu. Noch hält es sich in einem
Rahmen, in dem es gerade so zu verkraften ist, aber gleichzeitig muss es jetzt schon mal wieder
losgehen.“

Alle sind eigentlich da und warten nur darauf, dass man sich wieder in die Arme fallen kann.

Schelli: „Wie ist der Spirit? Wie geht es den Leuten,
die für euch arbeiten, bzw. gearbeitet
haben?“

Tobi: „Im Team haben wir hauptsächlich 450€-Kräfte, für die es natürlich überhaupt nicht gut ist.
Wie du weißt, arbeiten bei uns fast ausschließlich Künstler, Musiker und sonstige kreative
Freiberufler, für die ist der Job schon ein sehr wichtiges Zubrot gewesen. Teilweise fallen die auch
ein bisschen durch das Raster der Hilfen. Und für den Spirit ist es natürlich auch super schade,
wenn man sich nicht mehr so oft sieht und zusammen kommen kann. Aber grundsätzlich ist der
Spirit bei uns immer noch sehr gut. Wir hatten ja die Aktion mit der Website.
Da sieht man dann schon, was für eine Resonanz von den Freunden des Hauses, aber auch vom
Personal, zurückkommt. Alle sind eigentlich da und warten nur darauf, dass man sich wieder in
die Arme fallen kann. Die Website-Aktion hat den Spirit definitiv gehoben – auch mit den T-Shirts
und Gutscheinen, die wir gemacht haben.“

Schelli: „Es wird schon nicht so weit kommen, aber – weil das gerade einige Läden machen
– zum Thema Gutscheine: Was ist eigentlich mit denen, wenn ihr theoretisch zumachen
müsstet?“

Tobi: „Pech gehabt. (lacht) Bei mir könnt ihr die nicht einlösen. Wobei, wenn ihr nett seid, gibt’s
vielleicht ein Bierchen. Aber rechtlich würde sich ein Insolvenzvollstrecker darum kümmern, dass
ihr euer Geld wieder bekommt“

Schelli: „Wir wollen nicht drüber nachdenken. Zurück zur Website, wie seid ihr darauf
gekommen? Klar, das Konzept ist eigentlich offensichtlich, trotzdem ist es mir so noch
nicht begegnet.“

Peter: „Zuerst hatten wir die Idee: ‚Lass uns vielleicht Gutscheine machen.‘ Gleichzeitig hatten wir
schon länger, also noch vor Corona, die Idee, neue T-Shirts zu produzieren. Die hatte der Tommy
(Grotto Terrazza) gestaltet. Also haben wir uns gedacht: ‚Hey, das wäre doch jetzt eine gute Zeit,
weil man eben genau das hat: Zeit. Und wenn es gut läuft, ist es im besten Fall auch eine
Unterstützung für den Laden.’ Parallel haben Leute aus unserem Freundeskreis vorgeschlagen:
‚Macht doch eine Website, wir helfen euch dabei!‘ Wir hatten dann ein paar Leute beieinander, die
mit vereinten Kräften alle quasi ehrenamtlich an der Homepage gearbeitet haben. Weil sie einfach
Bock hatten!“

Tobi: „Wir wollten keinen reinen Webshop machen, sondern auch den Spirit vom Cucu ins Netz
transportieren. Dann haben wir drüber nachgedacht, was eigentlich das Cucurucu ausmacht. Es
lebt zum einen von den Leuten, die uns besuchen. Die wollten wir unbedingt in einer Art
Blogformat vorstellen. Um auch zu zeigen, wie man sie gerade supporten kann. Zum anderen ist
Musik ein wichtiges Thema, also wollten wir unsere DJs featuren und Links zu deren Mixes bieten.
Und schließlich geht es im Cucurucu darum, zusammen zu sein. Da haben uns die ganzen Zoom-
Hangouts, die während Corona aufgekommen sind, geholfen, das zu integrieren.“

Wenn es uns nicht als Raum gibt, soll die Idee weiterleben, unabhängig ob die Tür zu ist
oder nicht.

Peter: „Eine Idee hat die andere ergeben. Meiner Meinung nach wird so eine digitale Geschichte
nie das Analoge ersetzen. Diese schweißgeschwängerten Nächte, die Gespräche. Aber auch da
hat man gesehen, man kann das Ganze ein bisschen kreativ angehen. Der Vergleich muss ja nicht
sein. Aber wenn man keine andere Möglichkeit hat, funktioniert es schon ganz gut.“
Tobi: „Für uns ist es so auch eine Plattform, die nach Corona weiterleben kann. Über die wir
weitere weitere Geschichten spielen können. Gestern haben wir zum Beispiel eine digitale
Vernissage von Su Steinmassl und Peters Frau Conni bei uns gehabt, in der es über Mutterschaft
oder – genauer – die tabuisierten Facetten von Mutterschaft geht. Extrem bewegende, deepe und
mutige Ausstellung. Außerdem ein sehr gutes Beispiel für uns, wie man kulturelle Inhalte auch in
Zeiten, in denen wir nicht offen haben, transportieren kann. Wenn es uns nicht als Raum gibt, soll
die Idee weiterleben, unabhängig ob die Tür zu ist oder nicht.“

Schelli: „Ich hatte letztens auch eine schöne Erfahrung an Tisch 24, wo ich durch Zufall eine
befreundete WG getroffen habe…“

Peter: (unterbricht lachend) „Echt, kam bei dir jemand? Bei mir kam nie jemand. Ich sitze immer
alleine da. Schau, und das ist genau dasselbe wie im analogen Leben, ich sitze immer alleine da.“

Tobi: (lacht) „Du bist immer ein Loner.“

Schelli: „Aber das wäre genau die Frage: Wunderschöne Idee hin oder her, wie wird die
Seite aus eurer Erfahrung denn angenommen?“

Tobi: „Ich habe immer mal wieder Gäste getroffen. Gestern bei der Ausstellung hat es auch super
funktioniert, da konnte man die Künstler an einem bestimmten Tisch antreffen. Kuratierte Tische
zu einer gewissen Zeit funktionieren schon. Das Zufällige hat am Anfang definitiv auch gezogen,
mittlerweile aber nicht mehr so. Wir haben aber auch kein Trackingtool installiert, also gibt es
keine Daten. Aber ich gehe nicht davon aus, dass da extrem Traffic drauf ist. Die Seite hatte sicher
am Anfang ihren Peak und jetzt wird immer dann, wenn man was Neues kommuniziert,
veranstaltet, bzw. mit neuem Inhalt befüllt, wieder was los sein. Aber es ist jetzt nicht Spiegel
Online.“

Schelli: „Gottseidank.“

Tobi: „Ich habe früher Onlinejournalismus gemacht und will eigentlich nicht wieder da hin. War
eigentlich ganz froh, dass ich arbeitstechnisch von der virtuellen in die analoge Welt umgezogen
bin. Darum muss man mal sehen, wie viel Lust und Energie von uns in die Seite fließt, wenn wir
jetzt wieder ganz normal arbeiten. Ob wir da wirklich täglich oder wöchentlich neuen Content
produzieren, wird sich zeigen. Wir sind beide jedenfalls froh, dass es die Seite gibt und sie auf der
Welt ist.“

Schelli: „Jetzt haben wir über die digitalen Möglichkeiten geredet, wie sieht es denn dann
im Analogen aus – werdet ihr jetzt ein Biergarten oder wie macht ihr das?

Tobi: „Wir dürfen offiziell ab Montag aufmachen, ausschließlich draußen. Mit gewissen Regeln,
eineinhalb Meter Abstand zwischen den Gästen, bzw. zwischen den Tischen. Es dürfen wohl an
einem Tisch zwei Parteien, zwei Haushalte sein. Wir werden so ein bisschen luftiger aufstellen
müssen. Vorerst sind die Betriebszeiten auch nur bis 20 Uhr erlaubt, das heißt wir werden circa
um 15 Uhr starten. Dafür zusätzlich am Sonntag und da dann vielleicht sogar schon ab 14
Uhr. Wir müssen jetzt sicher sehr aufmerksam und vorsichtig sein – mit den ganzen Gästen
zusammen. Wir wollen die neuen „Freiheiten“ja nicht gleich wieder verlieren. Nicht, dass es zu
krass eskaliert und die Leute nach zwei Stunden Liquid-Cocaine-Suff wild miteinander
rumknutschen. (lacht) Ne, wir alle müssen einfach verantwortungsvoll damit umgehen, aber dann
können wir bestimmt wieder einen smoothen, legeren Barbetrieb aufnehmen.“

Schelli: „Ist es denn ein reiner Barbetrieb oder werdet ihr Biergarten-like auch Speisen
anbieten, Brotzeit vielleicht?“

Peter: „Da feilen wir gerade noch an den Ideen, das ist noch nicht spruchreif. Aufgrund der
Öffnungszeiten würde es vielleicht schon Sinn machen. Theoretisch können wir ja Essen anbieten.
Wir haben zwar keine Küche, aber auch da kann man wieder kreative Lösungen finden.“

Schelli: „Es gab ja schon mal Essen von den Caspar-Plautz-Boys.“

Tobi: „Genau, das haben wir zum Beispiel schon gemacht und es gibt eh immer Brot und Oliven.
Wir werden noch ein bisschen feilen, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass wir mehr Essen
anbieten als nur die Oliven.“

Schelli: „Und mal über den Biergarten hinaus spekuliert?“

Tobi: „Naja, es ist wohl auch möglich, eine Woche später eventuell drinnen aufzumachen.
Ebenfalls unter strengen Auflagen und in unserer relativ kleinen Bar auch mit relativ wenig Plätzen.
Da sind wir uns aber auch noch nicht einig, ob wir das machen wollen. Das ist auch abhängig
davon, wie der Biergarten läuft.“

Peter: „Man muss alles beobachten. Das Schwierigste an der aktuellen Zeit ist, glaube ich
wirklich, dass man nichts vorhersehen und auch wirklich nichts prophezeien kann. Vieles ist
neu. Wir müssen uns rantasten, aber versuchen natürlich, was im Bereich des Möglichen ist.“

Für mich bedeutet Gastronomie ein Zusammenkommen, kulturellen Austausch, Kommunikation.

Schelli: „Wie seht ihr es, mal noch einen Tellerrand weitergeschaut, in der allgemeinen
Münchner Gastrorealität? Wie wird sich die nach Corona darstellen?“

Peter: „Sehr schwierig zu sagen. Das Ganze hat mehrere Facetten. Das eine ist der wirtschaftliche
Aspekt, die finanzielle Tragweite. Das andere ist aber auch, dass man als Gastronom ja schon
eine gewisse Vorstellung hat, wie man und was man machen möchte. Ich kann mir gut vorstellen,
dass es Leute gibt, die – auch zurecht – sagen: ‚Unter diesen Auflagen – die natürlich verständlich
sind – will ich das garnicht machen.‘ Für mich bedeutet Gastronomie ein Zusammenkommen,
kulturellen Austausch, Kommunikation. Sie bedeutet Nähe und Erlebnisse. Also vieles von dem,
was aktuell nur beschränkt möglich ist. Es wird wahrscheinlich einige Läden geben, die es sehr,
sehr hart trifft, und die wahrscheinlich nicht mehr aufmachen können. Es wird manche geben, die
abwarten und unter diesen Umständen nicht aufmachen wollen. Und dann gibt es mit Sicherheit
sehr viele, die diesen Mittelweg wagen. Denn a) können sie es sich nicht leisten, länger
geschlossen zu bleiben und b) müssen sie gleichzeitig in den sauren Apfel beißen, weil vieles
nicht so möglich ist, wie sie sich das vorstellen. Ich glaube, diese drei Szenarien wird es geben.“

Schelli: „Kann man als Gastronom was aus dieser Phase lernen?“

Tobi: „Nichts, was wir nicht davor schon wussten – und gern gemacht haben. Immer flexibel sein,
mit wachem Geist Entwicklungen beobachten und spontan reagieren. Corona ist ein in unserer
Generation nie zuvor da gewesener Einfall von Ohnmacht und auch – auf gewisse Weise – Gewalt,
die wir so noch nie erlebt haben. Das ist eine Extremsituation, die aber nicht den zukünftigen
Alltag prägen sollte. Wir werden die Dinge weiter so machen, wie wir es gut und schön finden.“

Peter: „Im besten Fall nimmt man halt die positiven Sachen mit und lernt die Dinge, die davor
auch bekannt waren, nur jetzt eben eklatant sichtbar werden.“

Tobi: (lacht los) „Bei uns gibt es in Zukunft natürlich schon Happy Hour und Sky Bundesliga. Wir
haben dazu gelernt. (überlegt) Auch Spielautomaten, zwei Stück braucht es. Und Shisha kann
man rauchen.“
Peter: „Tagsüber gibt es einen Kiosk, wo man Lotto spielen kann.“

Schelli: „Und jeden Sonntag Bingo für die älteren Folks.“

Peter: „Und Tatort streamen!“

Tobi: „Ja, richtig! Außerdem sind wir jetzt eine offizielle FC-Bayern-Fan-Kneipe. Und eine 1860-
Fan-Kneipe natürlich. (lacht) Ne, aber mal ernsthaft: Wir sind schon sehr optimistisch, dass wir
das Ganze auf unsere Art überstehen!“